Der Symbolismus. Rainer Maria Rilke und sein Gedicht „Der Panther“


Der Symbolismus.
Rainer Maria Rilke und sein Gedicht „Der Panther“.



I. Epochenübersicht
Der Symbolismus entwickelt sich in der europäischen Literatur Ende des 19.Jahrhunders in Frankreich, bald auch in Deutschland, als Gegenströmung zum Naturalismus. Die Strömung ist ein Gegensatz nicht nur zum konsequenten Naturalismus, sondern zu der gesamten realistischen Entwicklung. Sie repräsentiert die Erfahrung sozialer Entfremdung und Isolierung, damit einen Krisenbewusstsein, das nach einem neuen Lebensstil, Gesellschaftsreform und Überwindung des Rationalismus durch Gefühlsintensität verlangte. Der den Realitätsanspruch negierende Drang zur Stilisierung ergab den allen Gruppen gemeinsamen, wesentlich auf französischen Vorbilder zurückgehenden symbolistischen Zug.
Die französischen Symbolisten fühlten sich als Erben einer sterbenden Kultur, sie prägten für ihre Situation Schlagworte wie „decadence“ und „fin de siecle“. Ihre oft sehr jungen oder zweitrangigen deutschen Nachahmer haben diese Gefühle mehr und mehr posiert.
In der Zeit des Naturalismus, erscheint der Symbolismus als Kritik der Zeitgenössischen Bürgertum, als Gegensatz der Weltanschauung des Materialismus. Er stellt ein mehr sozialistisches, mehr aristokratisches Zukunftsbild dar und dient zu einer Rückwendung zum Irrationalen, zur Methaphysik, zur Seele, zu Musik und Mythos. Das Leben im Symbolismus ist ein dynamisch-ästhetischer Selbstwert, was zu einem neuen europäischen Formkultur führt.
Der Symbolismus entsteht in der Zeit des technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, der Industrialisierung Europas, wo der Verzicht auf abstrakte Werte und idealistisch-ästhetische Empfindungen durch den Realismus und Naturalismus eine Krise des positivistischen Weltbilds und der herkömmlichen Religion und Moral brachte.
Als Beginn der symbolistischen Kunstanschauung wird von Bodlaire den Amerikanern Edgar Allan Poe (1809-1849) benannt.           Der frühere Symbolismus hat sich erst auf französisschem Grund entwickelt, vertreten von Charles Baudelaire, Stephane Mallarme und Paul Verlaine. Sie standen für die Autonomie des Symbols, welches distilliert wurde und nur die Wichtigkeit seiner Essenz hervorgehoben: es bleibt noch ein konkreter Gegenstand, ist aber nicht mehr spezifisch (z.B. Phonix oder Albatros bekommen nur den Gattungsnamen „Vogel“). Die Sprache der Symbolisten strebt nach Musikalität, oft verwendete rhetorische Figuren sind Synästesie (Vermischen von Sinnesebenen) und Onomatopoetik (Tonmalerei, Lautnachahmung).
Der frühere Symbolismus hat seine Vertreter in Deutschland im Namen von Stefan George und sein Kreis. Als Programme gaben sie „Blätter für die Kunst“ aus, die in 12 Folgen zwischen 1892 und 1919 erschienen. Dort hat man ihre eigene Interpretationsregeln veröffentlicht, wozu auch die besondere Orthographie, die Kleinschreibung, gehörte. Ihre Gedichtsbände hatten eine geringe Höhe der Auflagen und wurden nur im engsten Kreis verbreitet. Nach ihrer Meinung sei diese Literatur nur für eine Elite und als Mittel für Bildung einer Elite geeignet.
Für den Kreis um George und für ihn selbst sei die Dichtung eine Bewusste, stetig verfeinernde Leistung:
“Die Wert der Dichtung entscheidet nicht der Sinn. Sonst wäre sie etwa Weisheit, Gelehrtheit – sondern die Form, d.h. Jenes tief Erregende in Maß und Klang, wodurch zu allen Zeiten die Ursprünglichen, die Meister, sich von den nachfahrenden Künstlern zweiter Ordnung unterscheiden haben.[...]Das Gedicht ist der höchste endgültige Ausdruck eines Geschehens: nicht Wiedergabe eines Gedankens, sondern einer Stimmung. Was in der Malerei wirkt, ist Verteilung, Linie und Farbe, in der Dichtung: Auswahl, Maß und Klang“          
Die Hauptaufgabe der Symbolisten ist das Wort aus sener Alltäglichkeit emporzuziehen und durch ihre Dichtung die innerliche und äußerliche Welt zu harmonisieren.
„Die älteren Dichter schufen der Mehrzahl nach ihre Werke oder wollten sie wenigstens angesehen haben als Stütze einer Meinung: einer Weltanschauung – wir sehen in jedem Ereignis, jedem Zeitalter nur ein Mittel künstlicher Erregung. Auch die Freiesten der Freien konnten ohne den sittlichen Denkmantel nicht auskommen, der uns ganz wertlos geworden ist.“
Stefan George hat auch die Ziele des Dichters bestimmt:
„keine Erfindung von Geschichten, sondern Wiedergabe von Stimmungen, keine Betrachtung, sondern Darstellung, keine Unterhaltung, sondern Eindrücke“.
Als Mittel diese Ziele zu erreichen, dient dem Dichter hauptsächlich das Symbol. Es wird als ein Ganzes, ein stil-technisches Element verstanden, welches die Ganzheit der künstlerischen Abbildung der Welt gemäß den ästhetischen Idealen ermöglicht.
Der spätere oder dekadente Symbolismus in der deutschsprachigen Literatur wird haupsächlich von Rainer Maria Rilke und seine späteren Werken vertreten. Zu dieser Zeit (Anfang des 20.Jahrhunderts) entwickelt sich das Symbol zu einem Chiffre, zu einem privaten, hermetischen Zeichen und wird als Fetisch verstanden, der um seiner selbst Willen angebetet wird. Der Symbolismus hat sich schon als ein Lebensstil entwickelt.
Rilke, der berühmteste Vertreter des späteren Symbolismus, entwickelte die Idee des Dinggedichts, wo die Sache im Mittelpunkt steht, um sein immer gegenwärtiges, gültiges, zeitloses Wesen darzustellen. Das Gedicht beschreibt die Sache nicht direkt, sondern von allen Seiten, bis der Mittelpunkt unmissverständlich darliegt.
Die Strömung stellt ein Streben nach einem neuen Lebensstil, nach Gesellschaftsreform, nach Überwindung des Rationalismus durch Gefühlsintensität. Der Symbolismus möchte weder die gesellschaftliche Wirklichkeit (wie der Realismus und Naturalismus), noch persönliche Empfindungen oder subjektive Reaktionen auf äußere Ereignisse (wie die Romantik) darstellen. Er schafft eine ästetische oder mystische Kunstwelt was der „symbolistische Realität“ entspricht und eine Harmonie zwischen innerlichen und äeßerlichen Welt schafft.
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II. Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)
Sein Leben begann in Prag im Hause eines ehemaligen Militär- und damaligen Eisenbahnbeamten aus deutsch-böhmischen Bauerngeschlecht; die Mutter dagegen stammte aus einer gutbürgelichen Familie des „goldenen“ Prag. Ihr war es willkommen, dass ein Bruder ihres Mannes nobiliert wurde und, um seinen eigenen Adel nicht allzu jung zu zeigen, die Familie auf ein längst ausgestorbenes Kärtner Adelsgeschlecht Rülke zurückführte. Heute ist erwiesen, dass zwischen den beiden Geschlechtern ähnlichen Namens keine Beziehung bestand. Der Sohn, von der Mutter verzärtelt, nahm diesen Traum großer Vergangenheit in sein Wesen auf.
1886 wurde der sensible Rilke von seinen Eltern, die sich trennen wollten, auf eine Militärschule geschickt. In Prag, München und Berlin studierte er Philosophie, Kunstgeschichte und Literaturgeschichte. Mit Lou Andreas-Salomé (1861-1937) reiste er nach Russland, wo er Tolstoj kennenlernte. 1900 zog er in die Künstlerkolonie Worpswede, 1901 heiratete er die Bildhauerin Clara Westhoff. 1902 ging Rilke nach Paris, wo er 1905/06 als Privatsekretär des Bildhauers Rodin arbeitete. Auf Schloss Duino bei Triest erlebte er noch einmal eine produktive Phase. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte er nur noch in der Schweiz, wo er 1926 an Leukänie starb.

Werke
Das Stunden-Buch (lyrisches Werk, 1905)
Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke (zyklische Prosadichtung, 1906)
Neue Gedichte (1907/08)
Die Aufzeichnung des Malte Laurids Brigge (Tagebuchroman, 1910)
Duineser Elegien (Gedichtzyklus, 1923)
Die Sonette an Orpheus (Gedichtzyklus, 1923)

Dichtung von Rilke
Seine Dichterkunst wurde von der Stimmung des „fin de siécle“ geprägt. Er legte Wert auf eine kunstvolle Form (wie Stefan George), führte ein rast- und ruheloses Leben und empfing seine Anregungen auf viele Reisen (Italien, Russland, Frankreich).
Das zwischen 1899 und 1903 entstandene dreiteilige Stunden-Buch (1905) enthält Gedichte, die man als lyrische Gebete bezeichnen kann. Sie kreisen um einen sehr persönlichen Gott:
„Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manchmal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe -
so ists, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
und deinem Tasten einen Trank zu reichen:
Ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.

  Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
  durch Zufall; denn es könnte sein:
  ein Rufen deines oder meines Munds -
  und sie bricht ein
  ganz ohne Lärm und Laut“
  Auffallenderweise begann er schon 1898, den Namen Gottes „mit einer Innigkeit,           die oft dem traditionellen religiösen Glauben fast zum Verwechseln ähnelt, auf eine           eigene, seltsame, aber nunmehr meist positive Weise zu verwenden.“(E.C.Mason).           Der christliche Gott ist,so Rilke, freilich nicht gemeint denn:
          „Solange dieser Gott lebt, sind wir alle Kinder und unmündig. Er muss einmal sterben dürfen.             Denn wir wollen selbst Väter werden. Aber es ist ja tot...“
            oder:
          „Gott ist das älteste Kunstwerk. Er ist sehr schlecht erhalten, und viele Teile sind später ungefähr             ergänzt. Aber es gehört natürlich zur Bildung, über ihn reden zu             können und die Reste gesehen zu             haben.“
 Nach dieser Seelen- und Stimmungslyrik entstanden einige „Dinggedichte“, die von Rilkes Aufenthalt bei dem französischen Bildhauer Auguste Rodin (1840-1917) in Paris beeinflusst sind. Ein Dinggedicht teilt das betrachtende Erkennen eines Gegenstands mit. Dieser „Gegenstand“ kann auch ein Kunstwerk sein, eine Pflanze oder ein Lebewesen, das als Beweis einer göttlichen Existenz verstanden wird. Rilkes „Neue Gedichte“ (1907/08) enthalten einige Dinggedichte, z.B. „Der Panther“.
Die „Duineser Elegien“ (1923) und „Die Sonette an Orpheus“ (1923) hatte er nach langer Zeit veröffentlicht, welche aus sehr persönlichen Anlässen heraus entstanden. Eine Erinnerung an die Krise der sprachlichen Darstellungsmöglichkeiten kann man aus Versen der „Ersten Duineser Elegien“ herauslesen:
„und die findigen Tiere merken es schon
dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt.“
Diese späten Gedichte sind nur schwer zugänglich und haben aus diesem Grund auch immer wieder neue Deutungsversuche erfahren; man hat die „Duineser Elegien“ schließlich als umfassende Auslegung des menschlichen Daseins überhaupt verstanden.
Rilkes Gesamtwerk beinhaltet nicht nur Gedichte. 1906 erschien „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ (erste Fassung bereits 1899). In dieser lyrischen Prosadichtung spielt das Motiv des Todes eine grosse Rolle.
Rilke fand bei Baudelaire seine eigene Auffassung bestätigt, dass die Verflochtenheit alles Seienden die isolierte Darstellung des einzelnen Schönen nicht erlaube. Der Dichter habe sich vielmehr der ganzen Wirklichkeit zu stellen. Der erste Teil des Bandes „Neue Gedichte“, in dem nicht zufällig ein Schwan-Gedicht zu finden ist – ein Motiv, das auch bei Baudelaire und Mallarmé auftauchte- ist durchaus im Geist symbolistischer Poetik geschrieben: obwohl Rilke schon mit seinen Dinggedichten eigene Wege geht:

„Das Anschauen ist eine so wunderbare Sache, von der wir noch so wenig wissen; wir sind mit ihm ganz nach außen gekehrt, aber gerade wenn wir#s am meisten sind, schienen in uns Dinge vor sich zu gehen, die auf das Unbeobachtetsein sehsüchtig gewartet haben, und während sie sich, intakt und seltsam anonym, in uns vollziehen, ohne uns, - wächst in dem Gegenstand draußen ihre Bedeutung heran, ein überzeugender, starker, - ihr einzig möglicher Name, in dem wir das Geschehnis in unserem Innern sehlig und ehrerbietig erkennen, ohne selbst daran heranzureichen, es nur ganz leise, ganz von fern, unter dem Zeichen eines eben noch fremden und schon im nächsten Augenblick aufs neue entfremdeten Dinges begreifend - .“




III. Das Gedicht „Der Panther“

Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorubergehn der Stabe
so mud geworden, dass er nichts mehr halt.
Ihm ist, als ob es tausend Stabe gabe
und hinter tausend Staben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betaubt ein gro?er Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hort im Herzen auf zu sein.

IV. Interpretation des Gedichts
„Der Panther“ ist das früheste und wohl das vollendste der Dinggedichte von Rilke. Bereits 1902 entstanden, wurde es zuerst im September 1903 als Füllsel in einem böhmischen Provinzblatt veröffentlicht und 1907 in den ersten Teil der Neuen Gedichte eingefügt. In einer sehr einfachen, klaren Sprache findet Rilkes Wahrnehmung hier einen genauen Ausdruck für das Wesen des Tieres. Wie zu jener Zeit überhaupt, versucht Rilke in die Dinge hineinzugehen, nicht nur eine Einfühlung zu erreichen, sondern gleichsam dem unbewussetn Fühlen des Tieres sein eigenes Bewusstsein beizugeben und so in ihre Einheit zu gelangen, das innere Wesen des Panthers durch Beobachten und Gestalten der äußeren Merkmale mit sich zu identifizieren.

Das ist eines der bekanntesten Gedichte Rilkes und wohl das schönste Tiergedicht deutscher Sprache. Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils einem Satz in vier Versen.
In der ersten Strophe wird das ermüdete Blick des Tieres beschrieben. Seine Welt besteht nur noch aus dem Käfig.
In der zweite Strophe wird den geschmeidigen Gang des Tieres beschrieben, geht aber durch seine Gefangenschaft ohne Willenskraft im Kreis.
In der dritten Strophe stellt der Sprecher die Wahrnehmnug des Tieres dar, das auf die einzelnen Bilder nicht mehr reagieren kann.
Die Betrachtung steigert von sienem Blick, geht durch seinen Gang und bis letztlich zu seinem Inneren.
Nach einem Studium von Brehms, es müsse sich bei diesem Panther um ein Exemplar „in ziemlich weit vorgerückten Stadium der Gefangenschaft“ handeln. So schildert Rilkes Gedicht nicht nur einen Panther, sondern das gefährdete und gefangene Tier schlechthin und somit auch eine Phase in der Geschichte des Zoologischen Gartens, ja in der Beziehung des Menschen zum Tier. So kann das Schöne, in Erweiterung der Ersten Duineser Elegie, nicht nur „des schrecklichen Anfang“ sein, sondern auch dessen Ende. Der Panther ist äußerlich immer noch ein Tier, innerlich aber nicht mehr am Leben.

Gedichttypus
Es handelt sich hier um ein Dinggedicht, bei dem ein sinnlich fassbares Objekt in distanzierter Beschreibung dargestellt wird. Dabei wird der Gegenstand durch formale und sprachlische Mittel symbolisch gedeutet.
Das lyrische Ich dient hier nur dazu, das Gegenstand zu beschreiben.


Literalische und sprachliche Mittel
Das Vermass ist ein fünfhebiger Jambus, mit einziger Ausnahme im letzten Vers. Die Kadenzen sind abwechselnd stumpf und klingelnd, was für die unablässige Bewegung des Panthers in seinem Gefängnis steht.
Der Panther ist nur in der Überschrift des Gedichts mit seinem Namen genannt. Weiter wird er nur durch Pronomen oder durch Beschreibungen seiner Attribute („Sein Blick“, „ihm ist“) bezeichnet.
In der ersten Strophe gibst es eine dreimalige Wiederholung von „Stäbe“ und zugleich eine ä-Assonanz - „hält“, „gäbe“, was einen verstärkten Eindruck der Eintönigkeit der Gefangenschaft bewirkt. Die Stäbe sind hier auch personifiziert, es wird von „Vorübergehen der Stäbe“ gesprochen. Dieser Vorgang wird durch die Bewegung des Panthers ausgelöst und seine Passivität hervorgehoben. Der Panther ist vollständig von der Außenwelt bestimmt und deshalb wirkt es, als ob die Stäbe, und nicht er selbst, sich bewegen würden.
Eine andere Personifikation ist der Blick des Panthers. Das Adverb „müde“ zeigt, dass sich das Tier schon seit langem in dem beschriebenen Zustand befindet und dass er „nichts mehr hält“. Durch den Blick, das Auge, das ja richtig als 'Spiegel der Seele' gesehen wird, dringt Rilke in das Tier und versucht dessen Sein zu empfinden.
In dem fünften Vers des Gedichts gibt es Aliteration: „Gang“, „geschmeidig“. Es stellt ein Bild eines anmutigen Tieres dar, und verstärkt den Kontrast zu den Gefangenschaft eines Tieres, das für Leben in Freiheit geschaffen ist, zusammen mit dem Superlativ „im allerkleinsten Kreise“ im sechsten Vers.
Der Vergleich „wie ein Tanz im Kraft“ ruft eine Vorstellung eines mächtigen Tiers hervor. Der Tanz entspricht Lebensfreude und Gefühlsausdruck und verdeutslicht die potentielle Kraft im Innern des Tieres.
Der Metapher „der Vorgang der Pupille“ im neunten Vers steht für das fehlende Bewusstsein des Tieres in der Gefangenschaft. Ein Vorhang bewirkt einerseits, dass von außen niemand hineinsehen kann und zum anderen, dass man nicht herausblicken kann. Die Metapher verdeutlicht also, dass den Betrachtern des Panthers dessen Innenleben verborgen bleibt. Ebenso kann er nichts von seiner Außenwelt wahrnehmen.
„Dann geht ein Bild herein“ ist eine weitere Personifikation. Es steht auch für die Passivität des Panthers.
Die Bewegung des Panthers: durch seinen „wiechen Gang“ bekommt der Leser die Vorstellung, dass es für den Panther die Möglichkeit gibt zu entkommen, er hat außerlich noch nicht aufgegeben, jedoch wird es in der letzten Strophe angegeben, das dies schon innerlich geschehen ist.

V. Zusammenfassung
In dem Gedicht ist der Zustand der Gefangenschaft auf eindrucksvolle Weise geschildert, indem das Tier zuerst vom außen und am Ende innerlich beschrieben wird, was dem symbolistischen Konzept für die Sache entspricht: es wird nicht direkt beschrieben, sondern immer wieder von allen Seiten umgeschrieben, bis der Mittelpunkt unmissverständlich darliegt.
Eine andere wichtige Funktion des Dinggedichts ist die Möglichkeit der Übertragung auf andere Situationen, wie die Gefangenschaft von Menschen. Der Mensch befindet sich in vielen alltäglichen Zwängen, die ihm die Gesellschaft auferlegt oder die er sich selbst schafft. Eine eigene befreiung des Panthers schein im Gedicht unmöglich. Jedoch kann es vielleicht auch als Appell wirken sich nicht zu sehr von den fortwährenden Zwängen gefangen nehmen zu lassen, da sonst innere Leere droht.
Rilke wollte in den Dingen entdecken, was unser eigenes Lebens betrifft, eine Bedeutung aus ihnen locken, die unser Denken, Wollen und Fühlen zu beeinflussen im Stande ist. Dieser Bezug zu unserem eigenen Leben ist vielleicht beim „Panther“ am offensichtlichsten zu entdecken. Und als wollte Rilke dem Leser unbedingt aufmerksam machen , folgt „Der Panther“ in den Neuen Gedichten einem zweiteiligen Gedicht mit dem Titel „Der Gefangene“. Neben einer Deutung, die sich rein auf das Wesen des Tieres beziehen will, scheint hier also der Symbolische Gestalt der Worte durch: „Sinnbild der im Gefängnis ihrer Isoliertheit sich verzehrende Seele des Dichters selbst“³

VI. Literatur

1. Prof.Dr.Anselm Salzer, Prof.Eduard von Tunk: Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur.In sechs Bänden.Bd.5.Das 20.Jahrhundert. Naumann&Göbel, Köln.

2. Marcel Reich-Raniki:1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen.Bd.5.Von Arno Holz bis Rainer Maria Rilke. Insel Verlag. FaM 1996.

3. Stahl, August: Rilke-Kommentar zum Lyrischen Werk. München 1978